Donnerstag, 5. Dezember 2013

Auch in Österreich das gleiche Problem wie in Deutschland: ein föderaler Flickenteppich bei der Kinderbetreuung. Und eine notwendige Debatte über Mindeststandards

Wenn in Deutschland über Kindertageseinrichtungen (und Kindertagespflege) diskutiert wird, dann wird immer gerne über "die" Kitas oder "die" Tagespflege gesprochen - dabei sind die Verhältnisse überaus heterogen, wir sind konfrontiert mit 16 unterschiedlichen Systemen der Kindertagesbetreuung in den Bundesländern und auch innerhalb der Länder gibt es oft von Kommune zu Kommune erhebliche Varianzen, beispielsweise bei den Elternbeiträgen oder der konkreten Finanzierung. Allein vor diesem Hintergrund verbieten sich allgemeine Aussagen über "die" Kindertagesbetreuung.

Man kann sich die historisch gewachsenen Diskrepanzen allein schon auf der Ebene eines Bundesländervergleichs verdeutlichen, wenn man sich die Streuung der Personalschlüssel in den Kitas anschaut - es handelt sich hierbei, damit keine Missverständnisse auftauchen, die nicht um die tatsächliche Fachkraft-Kind-Relation, die ist ausgehend von den hier zitierten Werten noch schlechter, weil es sich nur um eine statistische Größe handelt, wie viele ganztags betreute Kinder auf eine Ganztagsfachkraft rechnerisch kommen, wohl wissend, dass die auch mal krank sein kann oder im Urlaub ist. Schaut man sich vor diesem Hintergrund die Bundesländerwerte an, dann fällt die erhebliche Streuung zwischen den Ländern auf. Nehmen wir einmal nur die klassischen Krippengruppen, also für Kinder unter drei Jahren. Dann liegt der 2013 vom Statistischen Bundesamt in der Studie "Der Personalschlüssel in Kindertageseinrichtungen. Aktuelle Ergebnisse auf Basis neuer Berechnungsgrundlagen 2012" veröffentlichte beste Wert in Bremen bei 1 zu 3,2 Kinder, während der schlechteste Wert von Sachsen-Anhalt mit 1 zu 6,9 Kindern unter drei Jahre erreicht wird. Das bedeutet, der Personalschlüssel im Osten ist mehr als doppelt so schlecht wie in Bremen. Und wenn man jetzt weiß, dass auch der Spitzenwert in Bremen nicht den Wert erreicht, der in der frühpädagogischen Fachdiskussion als aus fachlichen Gründen geboten angesehen wird, dann kann man schnell erkennen, welche hoch problematischen Verhältnisse wir hier bei uns in Deutschland haben.

Auch Österreich ist mit dieser Problematik konfrontiert - nur sind es dort nicht 16, sondern "nur" neun Bundesländer, was aber völlig ausreicht, um einen echten föderalen Flickenteppich hinzulegen. Darüber und vor allem über die Unterausstattung mit Personal berichtet eine neue Studie, die von der Arbeiterkammer Wien in Auftrag gegeben und nunmehr veröffentlicht wurde:

Stephanie Klamert, Marion Hackl, Caterina Hannes, Winfried Moser: Rechtliche Rahmenbedingungen für elementarpädagogische Einrichtungen im internationalen Vergleich. Eine Studie des Instituts für Kinderrechte und Elternbildung im Auftrag der der Arbeiterkammer Wien, Wien 2013

Gudrun Springer berichtet in ihrem Artikel "Kinderbetreuung: Neun Länder, neun Konzepte" von einigen Befunden der Studie:
  • Beim Betreuungsschlüssel zeigt sich, dass im Österreich-Schnitt auf eine Fach- oder Hilfskraft 13 Kinder kommen. Rechnet man nur die Zahl der Kindergartenpädagoginnen, liegt der Schlüssel bei 1:24 - weit weg von der Empfehlung des Network on Childcare, wonach eine Betreuungskraft auf maximal 15 Kinder schauen soll (in Finnland beaufsichtigt eine Fachkraft sieben Kinder).
  • Die vorgeschriebene Gruppengröße liegt zwischen maximal 20 Kindern in Tirol und 25 in Wien, Kärnten, Niederösterreich, Burgenland und der Steiermark.
  • Für das unterstützende Personal ist laut Studie in Wien, Salzburg, Tirol und Vorarlberg gar keine Ausbildung gesetzlich festgeschrieben. Dabei arbeiten Kindergartenhelferinnen laut Karin Samer von den Wiener Kinderfreunden stark betreuend mit, denn: "Der Fachkräftemangel wäre nicht ohne Assistentinnen abzufangen." Österreich bräuchte demnach mindestens 900 zusätzliche Kindergartenpädagogen.
  • Der Besuch des Kindergartens ist in allen Bundesländern ... im Jahr vor der Schulpflicht gratis (20 Stunden). Darüber hinaus sind die Regelungen für Elternbeiträge laut Studie "äußerst heterogen" und daher nur bedingt vergleichbar.
Eine Zusammenfassung der Studienergebnisse sowie die daraus abgeleiteten politischen Forderungen hat die Arbeiterkammer Wien gemeinsam mit einigen Gewerkschaften auf einer Pressekonferenz unter dem Titel "Mehr Qualität in der Kinderbetreuung. Internationaler Vergleich, Erfahrungen aus der Praxis und politische Forderungen" veröffentlicht. Und die Forderungen (S. 7) sind konkret formuliert und zugleich hilfreich für die gleiche Debatte, die auch hier in Deutschland notwendig ist:
  • Qualitätsstandards österreichweit: Stufenplan für die Vereinheitlichung mit dem Ziel einer bundeseinheitlichen gesetzliche Regelung von Mindeststandards (Gruppengrößen, Betreuungsschlüssel, Vorbereitungszeit, etc.) 
  • Einheitliche Ausbildungsstandards für das unterstützende Personal: Das unterstützende Personal ist in Österreich unverzichtbar in der Betreuung der Kinder. Ohne diese KollegInnen würde Österreich keine internationale Empfehlung zum Betreuungsschlüssel erreichen. Daher sind auch Ausbildung und die Berufsbezeichnung entsprechend österreichweit einheitlich zu sichern.
  • Hochschul-Ausbildung für PädagogInnen: Die Ausbildung von PädagogInnen auf Hochschulniveau soll auf den Weg gebracht werden. Vom Kinderhilfswerk UNICEF gibt es die Empfehlung, dass zumindest die Hälfte der PädagogInnen über eine Hochschulausbildung verfügen soll.
  • Finanzielle Rückendeckung für Gemeinden: Diese sollen künftig Zuschüsse nach der Zahl der betreuten Kinder erhalten, was bedeutet: je besser das Betreuungsangebot, desto mehr Geld (Stichwort aufgabenorientierter Finanzausgleich).
  • Kollektivvertrag: Für den privaten Bereich soll es einen Kollektivvertrag für alle Bundesländer geben.
In Deutschland muss es in den kommenden Monaten darum gehen, das von der Noch-Bundesfamilienministerin Schröder bereits im Sommer in Aussicht gestellte "Bundesqualitätsgesetz" für den Bereich der Kindertagesbetreuung mit Leben zu füllen. Über dieses Gesetz sollten endlich im SGB VIII konkrete Personalstandards festgeschrieben werden, die bislang vollständig fehlen. Ein möglicher Ansatz wäre, dass man im Kinder- und Jugendhilfegesetz Mindestpersonalstandards normiert, die sich orientieren an den derzeit besten Personalschlüsseln, die wir in den westlichen Bundesländern haben. Auf dieser Grundlage wären dann alle Bundesländer verpflichtet, in einem zu definierenden Zeitrahmen diese Werte in ihren Einrichtungen sicherzustellen. Natürlich Würde eine solche Regelung bedeuten, dass der Bund sich aufgrund der Konnexität s Regeln an der Finanzierung der laufenden Betriebskosten der Kindertageseinrichtung unter Tagespflege anteilig beteiligen müsste. Aber genau das ist schon seit langem überfällig und unbedingt erforderlich, um das derzeit vorhandene krasse Missverhältnis in der Kosten-Nutzen-Architektur zuungunsten der Kommunen und zugunsten des Bundes und der Sozialversicherungen abzumildern.

Konkretere Vorschläge mit Blick auf eine Umsetzung der seit langem geforderten anteiligen Bundesfinanzierung über einen "KiTa-Fonds" habe ich vor kurzem in einem Diskussionspapier veröffentlicht:

Stefan Sell: Die Finanzierung der Kindertagesbetreuung vom Kopf auf die Füße stellen. Das Modell eines „KiTa-Fonds“ zur Verringerung der erheblichen Unter- und Fehlfinanzierung der Kindertagesbetreuung in Deutschland, Berlin, Oktober 2013