Donnerstag, 24. Juli 2014

Sanktionen bei uns, Sanktionen aber auch auf der Insel. Eine kritische Diskussion über die Kürzung bis hin zum Entzug von Sozialleistungen in Großbritannien

In Deutschland gibt es eine überaus kontroverse Debatte über Sinn und Unsinn der Sanktionen gegen Menschen, die sich im SGB II-System befinden und die Hartz IV-Leistungen beziehen. Regelmäßig berichten die Medien über das Thema, wenn wieder neue Zahlen veröffentlicht werden, wie viele Sanktionen verhängt worden sind. Während sich die einen bestätigt sehen, dass viele der Grundsicherungsempfänger angeblich gar kein Interesse haben, ihre Bedürftigkeit zu beenden, verweisen Kritiker auf die teilweise erhebliche Fragwürdigkeit der definierten Sanktionstatbestände. Und weitere Gruppe an Kritikern stellt die Sanktionen grundsätzlich in Frage und fordert deren Abschaffung bzw. ein Moratorium. Man denke an dieser Stelle nur an die Aktivitäten von Inge Hannemann. Zu dieser - deutschen - Debatte vgl. auch den Blog-Beitrag: Das große Durcheinander auf der Hartz IV-Baustelle. Sanktionen verschärfen oder ganz abschaffen, mit (noch) mehr Pauschalen das administrative Schreckgespenst Einzelfallgerechtigkeit verjagen oder den „harten Kern“ der Langzeitarbeitslosen aus dem SGB II in das SGB XII "outsourcen"?

Es ist sicher keine Übertreibung, wenn man formuliert, dass nicht wenige Elemente von dem, was die "Hartz-Kommission" 2002 vorgeschlagen und das dann teilweise auch Gesetz geworden ist, eine Kopie dessen war, was man schon einige Jahre vorher in Großbritannien ausprobiert und unter Tony Blair eingeführt hatte. Und die Entwicklung dort ist nicht stehen geblieben, sondern in den vergangenen Jahren hat es eine ganze Reihe an Verschärfungen gegeben, die zu mehr Sanktionen geführt haben. Und die sind dort genauso umstritten wie die Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger bei uns.

Nun hat das britische Nahles-Pendant DWP, das ist das dortige Arbeitsministerium, eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die sich mit den Sanktionen und ihren Auswirkungen beschäftigen sollte. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind nun als Report der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Im "Guardian" wurde die Hauptaussage dieser Studie prägnant schon in der Artikel-Überschrift zusammengefasst: Benefit sanctions hit most vulnerable people the hardest, report says.

Die Bedeutung dieser kritischen Bestandsaufnahme ergibt sich auch aus der Person des Leiters dieser Studie, denn der Verfasser ist kein "Linker" oder sonst ein üblicher Verdächtiger der Sozialstaatsapologetik, sondern eigentlich ein Vertreter des konservativen Mainstreams - und das verleiht dem Report angesichts der gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse in Großbritannien zusätzliches Gewicht:

»The independent report was written for the DWP by Matthew Oakley, a respected welfare expert who has worked as an economic adviser for the Treasury and for the centre-right thinktank Policy Exchange. He is widely acknowledged as one of the leading thinkers on welfare on the centre right and as a result his criticisms, couched in careful language, are all the more damaging for a government that has consistently said the sanction regime is fair.«

Der Report kommt zu dem Ergebnis, dass der Umgang der Behörden mit den Leistungsberechtigten "legalistisch, unklar und verwirrend" sei. Die am meisten verwundbaren Leistungsempfänger werden oftmals im Unklaren gelassen, warum sie sanktioniert werden und sie werden von den Behörden häufig nicht informiert über Härtefallleistungen, die ihnen auch bei Sanktionierung zustehen. Schwerwiegende Schwachstellen identifiziert der Report auch bei den Zwangsmaßnahmen, aus denen heraus etwa ein Drittel aller Sanktionsfälle generiert werden, »with Work Programme providers required to send participants for sanctions when they knew they had done nothing wrong, leaving "claimants … sent from pillar to post".«

Der Okleay-Report kommt zu folgender Bewertung:

»No matter what system of social security is in place, if it is communicated poorly, if claimants do not understand the system and their responsibilities and if they are not empowered to challenge decisions they believe to be incorrect and seek redress, then it will not fulfil its purpose. It will be neither fair nor effective.«

Der Oakley-Report begnügt sich nicht mit einer Bestandsaufnahme der Wirkungen und der Probleme des Sanktionsregimes, sondern es werden 17 Empfehlungen für eine Reform gegeben.

Wer den Report im Original abrufen möchte, der wird hier fündig:

Matthew Oakley: Independent review of the operation of Jobseeker’s Allowance sanctions validated by the Jobseekers Act 2013, London, July 2014

Abschließend zurück nach Deutschland und der hiesigen Sanktionsdebatte. Auch bei uns wurden und werden Studien zum Thema verfasst, auf eine sei an dieser Stelle hingewiesen:

Oliver Ehrentraut, Anna-Marleen Plume, Sabrina Schmutz und Reinhard Schüssler: Sanktionen im SGB II. Verfassungsrechtliche Legitimität, ökonomische Wirkungsforschung und Handlungsoptionen. Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2014